Statement — CV — Portfolio

*1955, in Zug.


Aufgewachsen bin ich in der Landschaft und Gesellschaft einer Kleinstadt in der Innerschweiz. Wichtige Lehrjahre in vielerlei Hinsicht und eine grosse Spannweite zu meiner Herkunft sind: von 1983—1990 die Zusammenarbeit mit Choreografinnen, Musikern und Musikerinnen in New York, in einer der heterogensten Metropolen mit Einwander:innen aus der ganzen Welt, von 1999—2006 an der ZHdK das Studium der Bildenden Kunst und in Cultural/Genderstudies und seither die Begegnung und Zusammenarbeit mit Menschen aus verschiedenen kulturellen Kontexten und Kontinenten.



Seit über 30 Jahren bin ich unterwegs mit Tanz- und Kunstperformances, Ausstellungen, Interventionen und Kollaborationen im öffentlichen Raum, auf Musik- und Kunstbühnen in Europa, Nord- und Südamerika und Asien. Begegnungen mit Menschen und Orten in Performance-Situationen sind immer eine Herausforderung; Erfahrungen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten beeinflussen meine künstlerische Praxis fortlaufend. Mein Beziehungsnetz ist translokal; als Künstlerin und Mit-Initiantin von Plattformen und Netzwerken für performative Praktiken stehe ich im Austausch mit Kunstarbeitenden aus anderen geografischen und kulturellen Regionen (Asien, Europa, Nordamerika Südmerika …) 



Auf dem Hintergrund von meinen Erfahrungen in Ausdruckstanz (German expressive dance) und postmodernem Tanz ist die Auseinandersetzung mit dem Körper in Bewegung essentiell. Meine künstlerische Praktik fusst in einem somatischen Verständnis von Bewegung, Körper und Raum, einer Grundhaltung, die auf sensorisch-sinnlicher Wahrnehmung und Beobachtung basiert. Sie lässt sich auf viele Bereiche produktiv-reflexiv anwenden. Ich lasse mich von der Vielschichtigkeit der Anwendungsfelder Tanz, Performance und Kunst leiten und verführen. Sie kommen auch in der Vermittlung in verschiedenen Institutionen, an Hochschulen, an Tanz- und Kunstfestivals und in der eigenen Praxis zur Anwendung. Motor sind das Risiko und das Spiel mit der Schwerkraft, der latente Verlust der Kontrolle in Beziehung zu Raum und Kontext in seinen verschiedenen Wirkungs- und Bedeutungsebenen. Was wir Körper nennen, ist der (kleinste) gemeinsame Nenner, den Menschen mit anderen Lebewesen, Organismen und Dingen teilen. Das Prekäre ist, dass er verletzlich ist, uns abhanden kommen kann und sich ständig transformiert, uns immer wieder erleben lässt, dass wir ihn evtl. gar nie besessen haben: ein geteilter Körper, der mit Technologie und anderen Lebewesen und Organismen in Verbindung treten und an sie andocken kann. Aus dieser Haltung heraus kann ich Körper nicht ohne Kontext denken und erfahren.



Performance sehe ich als (künstlerische) Interventionen, die in Räume eingreift, die ’vorgefärbt’ sind. Ihre Ge-Schichte(n) und sozialen und politischen Bezüge affizieren von vornherein den (künstlerischen) Prozess. Bezugsebenen können sich in der performativen Situation peripher und mehrstimmig bemerkbar machen: Wie konkret, wie subtil eine unmittelbare Spezifität hervorgerufen wird, ist (nur) in der performativen Situation erfahrbar. 



Performance verstehe ich als que(e)re ästhetische Praktik. Das Que(e)re steckt in allem (performativen) Sein. Es fordert mich auf, relational, also beziehungs-orientiert und nicht in Oppositionen zu denken und zu handeln. Es verlangt Öffnen hin zu Anderen und Anderem, für Wesen und Welten, die ich nicht verstehe. Es schleift Grenzen von Praxis und Theorie, von Kunst, Kultur und politischem Handeln. Es gilt, ihm immer wieder nachzuspüren, ja es aufzuspüren. Es kann (unterschwellig) aktivistische Züge annehmen.

Performance kann zu Wissens- und Erkenntnisgewinn führen. Die performative Situation schafft einen Raum, in dem alle Anwesenden und be- und genannten Abwesenden in den performativen Prozess mit einbezogen werden: Jeder Performance geht intensive Recherche voraus. Texte und verwendete Materialien/Medien aus der Recherche-Zeit werden in der akuten Live-Situation auf die Probe gestellt und damit neu verhandelt. Sie schaffen als aktive Mittler:innen über den Live-Akt hinaus neue andere Erzählungen, die in der Reflexion, gar im Nacherzählen zu anderen, que(e)ren Einsichten und Erkenntnissen führen können.

Schreiben und mündliches Nach-Erzählen von Performances sind ebenso wirksam wie die ’Live-Situation’. So gesehen wird ’über’ die Live-Performance-Situation ’hinaus’ geschrieben. Sie setzt sich poetisch-performativ im mündlichen und im schreibenden Nach-Erzählen weiter. Die körperlich unmittelbare räumlich-somatischen Anwesenheit der Schreiber:in/Erzähler:in im Schreibprozess kitzelt die (erlebten) Live-Situationen. Das Nach-Erleben, gar Nach-Beben von 'Performance' 'im Rampenlicht' des Schreibens und Erzählens nimmt ungewöhnliche Perspektiven ein. Sie rekontextualisiert die Live-Situation und linkt sie zu Alltagspolitiken.

Die Aufnahme von Material um und aus meinen Performance-Arbeiten und deren Übertragung in andere erweiterte und vertiefte mediale Ausdrucksformen als den Live-Akt ist ein aktuelles Anliegen, eine Spur, die ich seit einiger Zeit verfolge. Wohin sie mich führen wird, ist offen.




Januar 2023

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