Ritual für (den) einen Mittelpunkt

Performancepreis Schweiz

Jurybericht — Dorothea Rust «Ritual für (den) einen Mittelpunkt»

Dorothea Rust (geb. 1955) lebt und arbeitet in Zürich. Sie studierte postmodernen Tanz in New York, sowie bildende Kunst und Cultural / Gender Studies in Zürich. Ihr künstlerisches Schaffen wurde u.a. mit dem Zuger- und Zürcher Werkjahr, dem Förderpreis für Performance des Kunstkredits Basel (2007) und dem Anerkennungspreis der STEO-Stiftung ausgezeichnet.

Vor einer überdachten Kletterwand auf dem Pausenplatz wurden mit schwarzem Klebeband zwei quadratische Flächen ausgezeichnet und mit einer Reihe von Basilikum- Topfpflanzen als Bühne abgegrenzt. Zum rechten Quadrat hin wird die blinde Künstlerin geführt und dort stehen gelassen. Kein Fleckchen Haut ist sichtbar. Ein über ihren Kopf hinausreichender Kapuzenjacken-Verschluss nimmt ihr die Sicht, Handschuhe bekleiden ihre Hände. Als Begleiter schnürt sie sich zwei rote Bojen – zum Festmachen von Wasserfahrzeugen oder als Markierungszeichen für die Lage von Ankern verwendet – mit langen Seilen an den Hosenbund. So beginnt die Performerin ihr «Ritual für (den) einen Mittelpunkt».

Mit einem Vortrag über Heilkraft und Bedeutung des Basilikums spannt sie den Bogen zum Ursprung des Pflanzennamens, des hiesigen Kantons Basel-Landschaft und seinem geografischen Kantonsmittelpunkt. Derweilen beginnen sich auf dem linken Quadrat die Propeller eines Flugobjektes zu drehen, die Drohne hebt ab und schwebt. Um neben diesem Fluglärm für das Publikum verständlich zu bleiben, ruft und schreit die Performerin nun ihr Wissen in den Raum. Ruft nach Orientierung, die sie – auf der Suche nach einem Stapel vorbereiteter Kartons, in die Schnüre ihrer Ankerbojen verwickelt – längst verloren hat. Im Hin und Her beginnt in der Folge ein Spiel. Kartons mit Erläuterungen zu Drohnen, Mittelpunkten oder schlicht mit Symbolen und Bildern von ländlichen Begebenheiten beklebt, werden ins Publikum geschleudert. Dieses hat zuvor gerade noch mit Richtungsanweisungen Hilfe geleistet, und schützt und duckt sich nun vor den Kartongeschossen. So zeichnet die Künstlerin Fährten von Sinn in den Raum, die sich sogleich wieder auflösen.

Auf dem Pausenplatz lägen all diese kleinen Kugeln und der Erdmittelpunkt sei über einen Tunnel zu erreichen. Die Mobiltelefone seien auf den Tisch zu legen, die Basilikumblätter zu pflücken, zwischen den Fingern zu zerreiben, man solle daran riechen und die Blätter dann auf die Telefone legen. Dies alles sei wichtig, ja! Wichtig für das Ritual. So entkleidet sich die Künstlerin, Stück um Stück bis auf die Unterhose, nur um einen Körper freizulegen, der wiederum von schwarzen Linien überzogen in einem neuen Koordinatensystem zu agieren beginnt. Put on your red shoes and dance the blues. Über ihrem Kopf wacht die Drohne und lässt ihre Haare im Wind flattern.

Die Jury ist beeindruckt, wie die Künstlerin die Setzung eines Mittelpunktes im Zwischenraum einer Zweiheit oder Mehrheit zerrinnen liess, und das im Titel angekündigte Ritual als hybrides Anti-Ritual feierte. Der Performanceverlauf blieb situationsbedingt und ungewiss, Publikumserwartungen wurden aufgebaut und fallen gelassen. Mit ganz eigenem Charakter und Witz manifestierte sich so das Werk einer erfahrenen und vielseitigen Künstlerin.

Die Jury schätzt die ambivalente Exzentrik, sowie die zeitgleiche Flüssigkeit und Widerständigkeit der Arbeit. Die Performerin zeigte vielfältige Settings, in denen sie scheinbar unlösbare Situationen schuf, Wege daraus suchte und auch fand. Mit diesem permanenten Spektrum an Unabwägbarkeiten und Unstetigkeiten bot Dorothea Rust eine Performance voller radikaler Wendungen, bei denen sie gekonnt zwischen Humor und Ernsthaftigkeit changierte.

Die Künstlerin wurde mit einem Preisgeld von CHF 30’000 ausgezeichnet.  

Jurybericht  ...  www.performanceartaward.ch

Der Performancepreis Schweiz

ist eine partnerschaftliche Förderaktivität der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Luzern, Zürich und der Stadt Genf. Der gesamtschweizerisch ausgeschriebene Wettbewerb will der Performancekunst eine adäquate Plattform bieten und sie einer breiten Öffentlichkeit näher bringen. Deshalb planen die Kulturförderinstitutionen jährlich einen Anlass, an dem Live-Performances öffentlich gezeigt, besprochen, beurteilt und ausgezeichnet werden.

Teilnahme-Bedingungen Performancepreis Schweiz 2016
Der Performancepreis 2016 wird im Kanton Basel-Landschaft ausgetragen. Veranstaltungsort ist die Gemeinde Lupsingen. In Lupsingen befindet sich der geografische Mittelpunkt des Kantons, was ausschlaggebendes Motiv war, den Performancepreis an diesem Ort durchzuführen. Der Anlass (alle Performances) findet unabhängig von den Wetterverhältnissen unter freiem Himmel statt. Dies gilt es bei der Eingabe zu berücksichtigen.
Der Performancepreis 2016 wird von kulturelles.bl ausgerichtet und durch den Swisslos-Fonds Basel-Landschaft finanziert.
Der Wettbewerb: wird zweistufig durchgeführt. Die Kunstschaffenden werden eingeladen, sich mit einer künstlerischen Dokumentation bis Mittwoch, 2.März 2016 (24:00 h MEZ) auf elektronischem Weg zu bewerben. Aus diesen Bewerbungen wählt die Jury max. sieben Kunstschaffende (oder KünstlerInnengruppen) aus, die am Samstag, 20. August 2016 in Lupsingen BL im Aussenraum eine aktuelle Performance zeigen werden. Anhand dieser Aufführungen verleiht die Jury den Performancepreis Schweiz.
Der Performance Anlass:Die ausgewählten Kunstschaffenden bringen am Samstag, 20.08.2016 in Lupsingen BL eine eigens für den Anlass entwickelte oder eine aktuelle Performance zur Aufführung. Diese wird unabhängig von den Wetterverhältnissen unter freiem Himmel gezeigt. Die Künstlerinnen und Künstler erhalten dafür eine Entschädigung von CHF 3’000.–. Sie sind (in Absprache mit der Veranstalterin) für Aufbau (am Tag der Präsentation), Technik, Installation und Demontage der Infrastruktur ihrer Aufführung sowie für deren Finanzierung selber verantwortlich.  

Programmheft Performancepreis 2016