j'écris + je crie — a splited score inspired by C.Sch.

Performance

* aus dem Skript *

Ankündigung von Sibylle Omlin

Ihre Performances etablieren eine anhaltende Erzählung in ihrem Werk. Dorothea Rust erarbeitet aus ihren Skripten, Materialarchiven und historischen Dokumenten Performances, die eine eigenwillige Narration zwischen Körper und Text, Stimme und Zitat, Tanz und Performancegeschichte in den Raum einschreiben. Sie hantiert dabei mit Objekten, Gesten wie mit Sätzen und Wörtern, die sie recherchiert oder geschenkt erhält.

Konzept «j'écris + je crie»

Für die Performance im Rahmen des Ausstellungsprojekts «Performance Schreiben» von Sibylle Omlin, habe ich mich vom Titel des Projekts leiten lassen und entschieden mit einer unbekannteren (historischen) Vorlage/Partitur von Carolee Schneemann, «Chromelodeon, 4th Concretion», zu arbeiten.

Die Partitur «Chromelodeon, 4th Concretion» war von Carolee Schneemann 1963 für eine Performance mit sechs Performer_innen/Tänzer_innen – Deborah Hay, Carol Summers, Lucinda Childs, Ruth Emerson, John Worden und Carolee Schneemann – konzipiert worden. Sie wurde im Rahmen des Judson Dance Concert 7, am 24. Juni 1963 in der Judson Memorial Church in New York, aufgeführt. James Tenney, ein Pionier auf dem Gebiet der elektronischen Musik, komponierte die Musikcollage für die Performance. Die Partitur für die Performance von «Chromelodeon» hat mich gereizt, weil sie nicht eine der bekanntesten Arbeiten («Interior Scroll» «Meat Joy») von Carolee Schneemann ist. Auch zeigt sie beispielhaft, dass die künstlerischen Strategien der ‚Judson-Group-Künstler_innen/ Choreograf_innen’ nicht nur distanziert und konzeptuell waren, wie oft verallgemeinernd wahrgenommen wird. Die Arbeit von Carolee Schneemann steht für die Vielfältigkeit von ‚Judson‘. Mit «Kinetic Theatre» schuf Carolee Schneemann eine eigene Begrifflichkeit für ihre performative Herangehensweise, die sie als eine Erweiterung der Malerei sah.

Die Partitur «Chromelodeon, 4th Concretion» habe ich nicht in ein Re-enactment überführen, sondern weiterschreiben wollen. Was mich dazu bewegt hat, ist die Art des physischen und emotionalen Beteiligtseins, die in die Arbeiten von Carolee Schneemann eingeschrieben ist, sowie der Überschuss an sinnlichem Material und an Vorgaben, der beim Lesen ihrer Partitur entsteht.

Mit «j’écris + je crie» habe ich mich an die 60er Jahre — einer Zeit des (erneuten) Aufbrechens von gesellschaftlichen Codes — und seine Visionen herangetastet, als auch mich und Anwesende/Publikum der Sinnlichkeit und Komplexität im Zusammenspiel von Körper und Material aussetzen wollen. Vor allem letzterer Aspekt sollte mich (ver-)leiten, eine ‚neue‘ Partitur zu schreiben. Wie würde ich damit umgehen? Und wie würde sich eine der Partitur mögliche innewohnende sinnliche Materialität zeigen? Wie würde sich die Wirkung von Carolee Schneemann’s damals explizit weiblich-feministischer Hingabe und Emotionalität im männlich dominierten Kunstfeld von damals heute anfühlen?

Die Partitur von Carolee Schneemann habe ich ‚gesplittet’. Entstanden sind zwei fragmentierte Partituren: eine, auf der mit schwarzem Filzschreiber alle Hinweise von bewegliche Requisiten wie Kleider, Objekte, Farben, Licht und Sound-Collage durchgestrichen worden sind und auf der anderen alle Bewegungsanweisungen. Die fragmentierte Partitur, auf der die beweglichen Requisiten nicht schwarz durchgestrichen worden und somit lesbar sind, ist von mir berücksichtigt worden. Vorab habe ich dem Text entsprechend Material ausgewählt und besorgt. Hierfür habe ich ein Skript, also (m)eine ‚neue’ Partitur geschrieben.

Die von mir so fragmentierte Partitur von Carolee Schneemann habe ich in der Performance vorgelesen. Sie ist Leitplanke gewesen und hat mich veranlasste, das eingebrachte Material entsprechend zu reaktivieren. Beide, die fragmentierte Partitur von Carolee Schneemann und mein Skript, sind im eigentlichen Sinne eine Überforderung, ein 'Zuviel' gewesen. Mich ‚heute’, 53 Jahre später, im Kunstraum Kreuzlingen, alleine durch sie hindurchzuarbeiten, d.h. die von mir fragmentierte Partitur von Carolee Schneemann genau vorzulesen und sie nach meinem Skript gleichzeitig umzusetzen, ist eine Überforderung gewesen. Deshalb sind für die Inszenierung mit Kleidern, Farben, Licht, Lebensmitteln und Soundcollage auch die Zuschauer*innen miteinbezogen worden. Eine Situation zwischen Lecture, Performance und Workshop ist entstanden.

Skript als Leporello  ...  ganzes Skript, Seite um Seite  ...  Caroline Schneemann's Partitur, bearbeitet