Anna III — Exile on Main Street

Performance Aktion

* aus dem Skript *

Hintergrund der Performance-Serie «Anna ...»

Diese Performance ist die dritte in einer Serie, in der ich mich dem Kosmos und dem Charakter meiner Mutter Anna annähere. Es ist auch die Transformation von Vergessenem, das ich in der Jetzt-Zeit hole, und mit dem eine neue, herausfordernde und eventuell auch irritierende Situation entsteht. Mit jeder neuen Version erweitere ich das Material. In der Performance «Anna III» sind die Verbindung und der Drehpunkt zu meiner Mutter «Anna» ihre alten ledernen Bergschuhe.

Ablauf der Performance

Ich bitte die Person, die die Kasse für den Anlass betreut, jede Zuschauerin und jeden Zuschauer einzuladen, ihren oder seinen Vornamen auf ein weisses Blatt Papier zu schreiben. Diese ungefähr vierzig bis fünfzig Namen memoriere ich bis der Anlass beginnt und während den anderen Performances, bis ich an der Reihe bin mit meiner Performance.

Als es soweit ist, stelle ich mich in den Raum vor die Anwesenden. Ich blicke sie eine Weile an, ziehe dann meine Schuhe aus, blicke wieder in die Runde und verbinde mir die Augen. Ich bitte das Publikum, mir bei dieser Performance zu helfen, da ich nichts sehe und ich die Dinge, die am Rand deponiert sind, in den Raum hinein holen möchte. Die Zuschauer*innen navigieren mich, mit verbundenen Augen bewege ich mich in Richtung meines Materialdepots. Nacheinander hole ich vier Tischbeine, 1 Paar lederne Wanderschuhe, die Blätter mit den aufgeschriebenen Vornamen der Zuschauer*innen und Klebeband. Die eigene Orientierung im Raum habe ich inzwischen ganz verloren und bin auf die Zuschauer*innen angewiesen: z.B. strecke ich meine Arme in eine Richtung, einer Kompassnadel gleich, und frage, ob ich mich in die richtige Richtung bewege. worauf mir die Zuschauer*innen Richtungshinweise geben, und mich mit Zurufen wie «Etwas mehr rechts», «Achtung, Pfeiler», «Etwas mehr nach links», «Ja, geradeaus» leiten. Dann lege ich den Stapel mit den 'Namensblättern' wie ein Tablett auf meine Hände, über jedes Handgelenk ist eine Rolle Klebband gestülpt. Ich hebe ein Blatt hoch und rufe den ersten Namen meiner auswendig gelernten ‹Merkliste›, der natürlich nicht mit dem auf dem Blatt geschriebenen Namen übereinstimmt. Würde er übereinstimmen, dann wäre das ein grosser Zufall. Ich halte jedes Blatt Papier in einer sowohl anbietenden, als auch auffordernden Geste hoch und von mir weg. Die Anwesenden bitte ich dann, die von ihnen entgegengenommenen Papierblätter mit Klebeband an mir zu befestigen. Jedes 'Namensblatt' wird so behandelt. Aufgeregtheit und leichte Hektik entstehen, weil ich Vornamen schnell aufeinanderfolgend ausrufe, mehrere Blätter in die Luft halte, die von mehreren Zuschauern und Zuschauerinnen gleichzeitig an mir befestigt werden, und ich immer wieder den Platz wechsle.

Als mich alle 'Namensblätter' schuppenartig bedecken, lade ich alle Anwesenden ein, mich auf einen Parcours, den ich vorher festgelegt habe, nach draussen zu begleiten. Wir durchqueren das von Strassenlampen beleuchtete nächtliche Gelände ums Gebäude der Kunsthalle herum: Ich steige auf Treppenabsätze, auf Baupfeiler, auf Laderampen und nehme dabei verschiedene Posen ein. Entlang der Rückseite des Hauses, durch einen langen Gang und die Hintertüre kehren wir wieder in den Raum der Kunsthalle zurück. Da warte ich ein wenig, bewege mich fein und flüssig, die 'Namensblätter' rascheln und rauschen. Die Bewegungen werden raumgreifender, die Blätter ‹machen Lärm›. Ich verkünde, dass jetzt die Gelegenheit sei, sich einen neuen Vornamen zuzulegen, den sich jede/r hier bei mir, von meinen Körper holen könne. Die Zuschauer*innen reissen und zupfen die beschriebenen Blätter von meinem Körper ab. Ich rufe 'Musik'. «Exit on Main Street», ein nicht sehr bekannter, früher Song der Rolling Stones wird gespielt. Die Hüften bewegend und wild improvisierend singe ich sowohl mit als auch gegen das Lied an, löse die letzten Blätter von meinem Körper ab und gebe sie weiter an die Menschen um mich herum. Immer noch tanzend, vor allem die Hüfte bewegend, nehme ich die Augenbinde ab und blicke die Zuschauer*innen an – ein einzelnes Blatt, mit dem Namen «ANNEMARIE», ist an meinen Haaren hängengeblieben.  

Skript